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Außereuropäische Fallbeispiele -
Lateinamerika

Das wohl bekannteste und interessanteste Fallbeispiel für diesen Kontinent sind die Desana, die im kolumbianischen Amazonasgebiet leben und deren Weltbild sehr stark geruchsgeprägt ist. Jede ethnische Gruppe hat ihrer Meinung nach einen so starken Eigengeruch, dass sie auch ihr Territorium damit markiert, selbst wenn sie dieses schon wieder verlassen hat und weitergezogen ist. Interessanterweise bezeichnen sich die Desana selbst als wira, was soviel bedeutet wie "Menschen, die riechen". Der charakteristische Geruch jeder Ethnie gilt einerseits als erblich, kann andererseits aber auch durch die Nahrung beeinflusst werden. Deshalb riechen beispielsweise die Desana selbst nach der Jagdbeute, die sie essen, und ihre Nachbarn, die Tukano, nach dem Gemüse, das sie anbauen. Diese Geruchskategorien haben sogar Einfluss auf die Heiratsregeln, denn die Ehepartner sollten unterschiedlich riechen - hier wird ein Exogamiegebot olfaktorisch begründet und ausgedrückt. Männer und Frauen riechen ebenfalls unterschiedlich - im allgemeinen haben Männer einen Fleisch- und Frauen einen Fischgeruch, wobei dieser geschlechtsspezifische Geruch ebenfalls von Ethnie zu Ethnie variiert. Der Geruch der Desana-Frauen beispielsweise wird mit Ameisen und stinkenden Würmern assoziiert. Der persönliche Geruch wird zudem beeinflusst von Emotionen und Fruchtbarkeitszyklen (Vgl. Classen et al. 98-100., 114f.).

Bei den Suya in Mato Grosso, Brasilien, sind für die olfaktorische Kategorisierung vor allem Alter und Geschlecht wichtig. So gelten erwachsene Männer, die im Männerhaus leben, als geruchsneutral, alte Männer und Frauen als scharf riechend, Jungen und Mädchen als stark riechend und erwachsene Frauen als sehr stark riechend. Diese Geruchsklassen repräsentieren den Grad der Sozialisation, wobei die Gruppe der erwachsenen Männer das Ideal darstellt. Erwachsene Frauen bilden den Gegenpol hierzu, weil sie die Männer von ihrer idealen Lebensform ablenken und mit der Natur assoziiert werden. Alte Frauen dagegen können den Männern nicht mehr gefährlich werden und riechen daher weniger stark, alte Männer sind bereits aus der zentralen Gruppe ausgeschieden, d.h. nicht mehr denselben Restriktionen unterworfen, stehen daher eher für Natur als für Gesellschaft und riechen deshalb stärker als die jüngeren Männer. Für Kinder gilt dasselbe, da ihre Sozialisation noch nicht abgeschlossen ist. Interessanterweise fallen auch die politischen Führer in die Kategorien "scharf" oder gar "stark riechend". Dies liegt zum einen daran, dass sie als außerhalb der Gesellschaft stehend betrachtet werden, d.h. wie die Frauen eine potenzielle Bedrohung für die soziale Ordnung darstellen, und andererseits die Suya eine Parallele zu den Tieren ziehen, bei denen die Leittiere am stärksten riechen (Vgl. Classen 1993:85f.).

Ebenfalls interessant ist das Fallbeispiel der Kashinawa des Amazonasgebiets, vor allem hinsichtlich von Gerüchen, die als geschlechtsspezifisch betrachtet werden. Mishi bezeichnet einen abstoßenden Geruch, der von menstruierenden und schwangeren Frauen ausgeht. Außerdem wird Schwangeren ein besserer Geruchssinn nachgesagt, der sich jedoch nach der Geburt des Kindes wieder zurückentwickelt. Trotzdem ist die Riechfähigkeit ein Unterscheidungsmerkmal zwischen Müttern und Frauen, die noch keine Kinder haben, da es so ist, "als ob eine Schwangerschaft die Nase reinigte" (Keifenheim 2001:116). Im ersten Monat nach der Niederkunft stinkt nach Auffassung der Kashinawa der Urin einer Frau besonders schlimm, genauso wie ihre Vaginalsekrete. Dieser spezielle Geruch wird als pisi bezeichnet, was übrigens auch als Beleidigung für Fremde benutzt wird, denen die Kashinawa unterstellen, dass sie ihre Geschlechtsteile nicht so oft und sorgfältig waschen wie sie selbst und deshalb stinken. Die Folge dieser negativen Geruchszuschreibungen für die Frauen ist, dass sie während einer Schwangerschaft und nach der Geburt regelrecht gemieden werden (Vgl. ebd. 2001:115-117). Der Wohlgeruch inin dagegen spielt bei der sexuellen Verführung eine wichtige Rolle, sowohl bei Männern als auch bei Frauen, dennoch gilt er als weiblicher Duft, weil Frauen mehr mit ihm in Berührung kommen. Besonders stark nach inin riechen Frauen, die gerade einen oder gar mehrere Liebhaber haben, was sie auch für alle anderen Männer attraktiv macht. Unverheirateten junge Frauen und Witwen, die einen starken inin-Geruch verströmen, wird daher von den übrigen Frauen des Dorfes mit Argwohn begegnet (Vgl. ebd.: 120-122).
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