In der Ethnologie ist die Auseinandersetzung mit den Sinnen und
im Besonderen mit dem Geruchssinn eine rezente Forschungsrichtung,
da Gerüche in den verschiedensten Lebensbereichen der Menschen eine
Rolle spielen.
Aromen werden zur Heilung von Krankheiten oder zum Vertreiben
böser Geister genutzt. Gerade in den Industrienationen hat
die sogenannte Aromatherapie in den letzten Jahren einen regelrechten
Boom erlebt. Vor allem auch, da sie entgegen der Schulmedizin
nicht nur auf der physischen, sondern auch auf der psychischen
und übernatürlichen Ebene wirken kann.
Die wichtigen Stadien während eines Menschenlebens wie Geburt,
Hochzeit und Tod werden oftmals von Gerüchen begleitet und ausgewählte
Aromata werden bei Initiationsriten verwendet. Interessanterweise
entwickelt der Mensch eine neutrale oder positive Haltung gegenüber
seinen eigenen Körpergerüchen, während er gegenüber Gerüchen anderer
Menschen ein negatives Verhalten aufweist. Dies resultiert aus der
Sozialisation des Menschen, die den jeweiligen kulturspezifischen
Umgang mit Gerüchen vorgibt. Die dabei erlernten Verhaltensweisen
dienen dazu, die bestehenden sozialen Verhältnisse auszudrücken,
indem sowohl Freundschaft und Intimität als auch Feindschaft und
Distanz über Gerüche legitimiert werden können (siehe auch Beer,
Le Guerer, Classen).
Da die Ordnungsmuster kulturell variieren, existieren auch
kulturspezifische Vorstellungen von Verunreinigung und verschiedene
rituelle Wege, diese zu kompensieren und somit Gefahren entgegenzuwirken.
Geruchsklassifikationen existieren ebenso für verschiedene Berufsgruppen.
Ebenso kann sich die Zugehörigkeit eines Individuums zu einer bestimmten
Geruchsklasse mit dessen Alter verändern, was zum Beispiel bei den
Suya in Brasilien festgestellt wurde (vgl. Classen, Howes und Synnott
1994). Gleiches gilt für die beiden Geschlechter. Sowohl in ihrer
Fähigkeit Gerüche wahrzunehmen als auch bei der Absonderung eigener
Gerüche, wird die Frau in vielen Kulturen unterschiedlich zum Mann
dargestellt (vgl. Beer 2000).
Schlechte Gerüche rechtfertigen Antipathien und drücken Abweichungen
von Regeln und Normen aus. Personen, die die gewohnten Werte-Standards
überschreiten, werden als stinkend bezeichnet. Somit ermöglichen
olfaktorische Kategorien in allen Gesellschaften den Erhalt
des jeweiligen sozialen und moralischen Systems.
Selbst gut oder nicht zu riechen, beziehungsweise nicht zu einer
"stinkenden" Randgruppe zu gehören, drückt Prestige und damit auch
Macht aus und mag ein Grund dafür sein, dass der Körpergeruch durch
Parfüm oder andere Kosmetika weltweit manipuliert wird.
Gerüche können auch im ökonomischen Bereich wirken, was der Aufsatz
über die Tuareg von Susan Rasmussen aus dem Jahr 1999 zeigt. Die
Autorin beschreibt die Redistribution von Gütern als eine zentrale
Norm innerhalb der Gruppe. Sie stellt fest, dass es in Notzeiten
dennoch zur Ressourcenakkumulation für den privaten Verbrauch kommt,
was in Opposition zu den bestehenden Werten steht. Durch ein persönliches
Erlebnis, den alleinigen Verzehr einer Limone als Getränk, wurde
ihr bewusst, dass Gerüche ein wirtschaftliches Fehlverhalten und
damit eine Normenüberschreitung aufdecken können.
Ein weiteres interessantes Phänomen ist die Verbindung der Sinne
miteinander (Synästhesie), welche in verschiedenen Kulturen beobachtet
werden kann. Oftmals werden Geruchsbedeutungen bestimmte korrespondierende
Töne und Farben zugeordnet, sodass ein komplexes Netz aus diesen
drei Wahrnehmungsbereichen entsteht. Ein Thema, welches sicherlich
weitergehende Forschungen im interkulturellen Vergleich erfordert.
Diese aufgeführten Beispiele zeigen, dass Gerüche mit den verschiedensten
kulturellen Bereichen verbunden sind und auf sie einwirken, aber
auch, dass umgekehrt jede Geruchsempfindung entscheidend durch die
jeweilige Kultur beeinflusst wird.
Diese Erkenntnis ist Grund dafür, dass die Auseinandersetzung mit
der Olfaktorik innerhalb der Ethnologie an Bedeutung gewonnen hat
und derzeit verstärkt Feldforschungen zum Thema vorgenommen werden.
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