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Körpergeruch und Geruchssinn
in der europäischen Geschichte -
Von der olfaktorische Revolution zum 20. Jahrhundert
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und dem damit verbundenen Bevölkerungswachstum in den Städten verstärkte
sich auch der Gestank dort. Dies führte zusammen mit einer erneuten
Epidemie, dieses Mal Cholera, und der Entdeckung, dass Krankheiten
nicht durch Gerüche, sondern durch Mikroorganismen übertragen werden,
seit Ende des 18. Jahrhunderts zu einer tiefgreifenden Änderung der
Hygienemaßnahmen. Zum einen wurden Abwasser- und Müllentsorgung systematisch
in Angriff genommen, was zur Folge hatte, dass die Städte tatsächlich
ihren Gestank verloren und die Bevölkerung üble Gerüche nicht mehr
als unvermeidbar hinnahm, sondern als inakzeptable Gefahr für ihre
Gesundheit betrachtete. Zum anderen erfuhren auch die persönlichen
Hygienegewohnheiten einen Wandel - beispielsweise galt das Baden nun
nicht mehr als schädlich, sondern als gesund. Diese Geruchsverbesserungen
betrafen jedoch zunächst nur die Mittel- und Oberschicht, die nun
von Ekel gegenüber der übelriechenden Arbeiterschicht ergriffen wurden.
Das aufsteigende Bürgertum wiederum grenzte sich von der Parfumgeruch
ausströmenden Aristokratie ab, indem es sich um olfaktorische Neutralität
bemühte (Vgl. Classen et al. 1994:80-83).
In diese Zeit fällt auch die beginnende Differenzierung von Männer-
und Frauenparfums, die Ausdruck einer allgemeinen Betonung der Geschlechts-unterschiede
und damit verbundener Rollenzuweisungen war. Frauen wurden süße, blumige
Düfte zugeschrieben, Männer dagegen sollten nach Möglichkeit überhaupt
kein Parfum benutzen, und wenn, höchstens holzige, strenge Duftnoten.
Auch der Geruchssinn wurde im 19. Jahrhundert zur Frauendomäne erklärt,
passend zur Assoziation des Weiblichen mit Intuition und Gefühl. Seit
der Aufklärung war der Geruchssinn gegenüber dem Sehsinn stark abgewertet
worden, der nun von den Männern beansprucht wurde, entsprechend seiner
Zugehörigkeit zum Rationalen und Wissenschaftlichen (Vgl. ebd.:83-85).
Ebenso wie den Frauen wurde den "Wilden", die seit den Entdeckungsreisen
besonderes Interesse erfuhren, ein besserer Geruchssinn zugeschrieben,
da sie, genau wie diese, den Tieren näher seien als "zivilisierte"
Menschen bzw. Männer. In ersten Experimenten wurde versucht, diese
Auffassung zu belegen, was jedoch nicht gelang (Vgl. Beer 2000:210f.).
Im philosophischen Diskurs findet sich diese Überzeugung beispielsweise
bei Rousseau, Nietzsche und Freud. Letzterer erklärte den schärferen
Geruchssinn in Übereinstimmung mit Darwin damit, dass sich dieser
Sinn im Laufe der menschlichen Evolution zurückentwickelt habe, da
er für den "zivilisierten" Menschen nicht mehr so nützlich sei wie
für den "primitiven" und die Gefahr eines Rückfalls in frühere Entwicklungsstadien
in sich berge. Nach Meinung Freuds hatte der Geruchssinn vor allem
die Funktion, Sexualreize aufzunehmen, was durch den aufrechten Gang
vom Sehsinn übernommen wurde. Dies begünstigte eine permanente sexuelle
Erregung im Gegensatz zur temporären, die durch Menstruationsgerüche
ausgelöst wurde, die Bindung an eine Partnerin und damit die Gründung
von Familien (Vgl. Le Guérer 1992:226-245).
Auch Unterschiede in Körpergerüchen bei verschiedenen Rassen wurden
nun behauptet und gleichzeitig biologisch begründet, z.B. mit einer
höheren Anzahl von Schweißdrüsen bei "Negern". Der Begriff des Völkergeruchs
entstand, der sich der Definition der Zeitgenossen folgend vom Individualgeruch
dadurch unterschied, dass er nicht von äußeren Faktoren beeinflusst
wurde (Vgl. Beer 2000:213). Im 20. Jahrhundert wurde von Adolf Hitler
ebenfalls der Geruch als Argument für seine antisemitischen Überzeugungen
benutzt: Er begründete den von ihm behaupteten "Rasse"-Gestank der
Juden einerseits durch deren mangelnde Körperhygiene, sah ihn aber
gleichzeitig als Ausdruck ihrer moralischen Verdorbenheit (Vgl. Synnott
1993:196f.). |
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