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Die olfaktorische Revolution
und ihre Folgen-
Die neue Hygiene
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Die Intoleranz
gegenüber Gerüchen verlangt von jeder Einzelperson gewisse Höflichkeitsregeln
im Umgang mit anderen. Es ist darauf zu achten, daß man durch seinen
Geruch niemanden belästigt, was wiederum ein Mindestmaß an hygienischen
Maßnahmen voraussetzt.
Dies wirkt sich auch auf die Körperhygiene aus, worunter man zunächst
vornehmlich die Reinhaltung der Kleidung versteht. Das Säubern des
Körpers mit Wasser ist noch immer eine selten angewandte Praxis, der
viele noch durchaus skeptisch gegenüberstehen. Der Glaube, sich mit
Wasser zu säubern sei schädlich für die Gesundheit, hält sich noch
weit ins 19. Jh. hinein. Viele sind der Überzeugung, daß es den Körper
verweichliche und dessen Lebenskraft raube, und daß Miasmen ohne Dreckkruste
auf der Haut ein leichtes Spiel hätten, durch die Hautatmung in den
Organismus zu gelangen.
Zwar nehmen die Hygienegewohnheiten zu, nachdem Ende des 18. Jh. herausgefunden
wurde, daß die Dreckschicht nicht das Infektionsrisiko senkt, sondern
das Ausscheiden schädlicher Stoffe über die Haut behindert und die
Gesundheit gefährdet.
Das Baden ist jedoch höchstens unter der Elite verbreitet und wird
auch nur selten öfter als einmal im Monat praktiziert. Die Haare werden
nicht gewaschen, allenfalls gekämmt. Sogar einige Ärzte sehen im Baden
ein Risiko für die Gesundheit und auch die Schönheit, außerdem halten
viele Zeitgenossen es für lasterhaft, da das Baderitual vollkommen
nackt vollzogen wird.
Viele Quellen zeugen von einem gesteigerten Schamgefühl, wie z.B.
der Ratschlag von Madame Celnart an ihre Leserinnen (1833), sich nach
dem Baden mit geschlossenen Augen abzutrocknen (CORBIN 1984, 236).
Das neue Schamgefühl geht einher mit der Mißbilligung alles Körperlichen,
was von animalischer Triebhaftigkeit zeugt. Man muß sich mit der Befriedigung
anderer Sinne als dem des Tastens begnügen, was dem Seh- und dem Geruchssinn
zugute kommt.
Der persönliche Körpergeruch nimmt immer mehr an Bedeutung zu, man
möchte nicht nur nicht stören, man möchte vor allem gefallen, jedoch
auf dezente, schickliche Art und Weise.
Auffallend ist, daß der Parfümgebrauch zurückgeht, je mehr sich die
Gewohnheit des Waschens verbreitet. Es ist nicht mehr nötig, unangenehme
Gerüche zu übertünchen und zudem könnte der übermäßige Gebrauch von
schwerem Parfüm die Poren der Haut verkleben und somit ein Risiko
für die Gesundheit darstellen. Aus diesem Grund versucht man, den
eigenen Geruch durch zarte, blumige Düfte zu unterstreichen.
Mit der Verbannung animalischer Duftstoffe geht eine Modebewegung
einher, die enorme Mengen an pflanzlichen Parfüms hervorbringt. Nicht
nur sich selbst, sondern auch die Kleidung und Wohnräume pflegt man
unter den Reichen zu parfümieren. Besonders beliebt sind Lavendel
und Rosenwasser, welches z. B. aus perforierten Flaschen von der Zimmerdecke
tropft. Für die Wohlhabenden gibt es auch "professional perfumers
who travelled the country fumigating the musty rooms of manors and
castles." (CLASSEN et al. 1994, 64).
Im 19. Jh. bildet sich auch die Unterscheidung zwischen Parfüms für
Männer und Parfüms für Frauen heraus. Bisher benutzten beide Geschlechter
dieselben Düfte, doch nun werden Parfüms in zunehmendem Maße eine
rein weibliche Angelegenheit.* Der Mann parfümiert sich kaum noch,
er zeichnet sich durch auf Sauberkeit beruhender Geruchlosigkeit aus.
Allenfalls ein dezenter Tabakhauch unterstreicht seine Männlichkeit.
Die Frau soll von natürlicher Anmut sein, zurückhaltend und sauber.
Zunächst sind nur die zarten Düfte aus dem Pflanzenreich in Mode,
und auch die Kleider junger Damen werden mit Blüten geschmückt; die
Frau gleicht einer Blume: schön, zerbrechlich, unschuldig, wohlriechend.
Der Trend von Pflanzendüften wird jedoch auch von Zeit zu Zeit von
‚Moschuswellen' - einem kurzen Aufleben der animalischen Düfte - durchbrochen.
Seit der Zeit um 1840 wird mit Hilfe der Chemie das Parfümspektrum
immer größer und raffinierter. Die strengen Gebote lockern sich und
lassen exotische Duftnoten zu. Die Parfümherstellung ist allerdings
mit Ausnahme des Eau de Cologne weitestgehend auf Paris und London
beschränkt, im übrigen Europa gibt es nur die gewöhnlichen Produkte
mit einer geringen Anzahl an Inhaltsstoffen. Ausgefallene Düfte sind
ein Symbol für Luxus und süßes Leben und zunächst nur in Adelskreisen
verbreitet. Durch industrielle Herstellung werden sie im Laufe einiger
Jahrzehnte auch für ärmere Bevölkerungsschichten erschwinglich.
All dies zeigt, daß die Menschen des 18. und 19. Jh. eine verstärkte
Selbstwahrnehmung und auch - inszenierung auszeichnet. "Die wesentliche
Funktion, die den Geruchsreizen an all diesen privilegierten Orten
zukommt, ist offenbar eine Förderung des Narzißmus." (CORBIN 1984,
114). Man möchte sich abheben von der stinkenden Masse. Der Geruch
ermöglicht aber nicht nur dieses Gefühl der erhabenen Andersartigkeit,
er ist es auch, der die begehrten, tiefen, persönlichen Empfindungen
auslöst, die einen das Bewußtsein eines ‚Ichs' erst erleben lassen:
"Der Geruchssinn erregt die empfindsame Seele, die sich den ihr angetragenen
Gefühlen nicht entziehen kann, gerade wegen der Flüchtigkeit seiner
Eindrücke. [...] Von allen Sinnen ist der Geruchssinn am stärksten
dazu begabt, den Menschen die Existenz eines Ich empfinden zu lassen
[...]" (CORBIN 1984, 115).
Im 19. Jh. wird der Geruchssinn in den höheren Gesellschaftskreisen
auch als Sinn der melancholischen Erinnerung entdeckt. Vergangene
Ereignisse können durch einen bestimmten Geruch plötzlich heraufbeschworen
werden und tiefe Emotionen hervorrufen. Auch in der Liebe ist Erinnern
besser durch einen Gegenstand, der nach der Geliebten duftet, möglich,
als durch ein Photo. So mancher verfügt über eine beachtliche Sammlung
an Dingen, die nach der Liebsten riechen, wobei manches selbst unter
Geruchsfetischisten als leicht pervertiert gegolten haben dürfte,
wie "[d]ie noch aus der zeit des Rokoko stammende [...] Sammlung von
acht Phiolen mit der Aufschrift "Air des Femmes", worunter luftdicht
verschlossene Gläser mit "Damenfürzen" zu verstehen sind [...]" (JÜTTE
2000, 187).
Duft weckt zwar auch die sexuelle Begierde, wie J. N. Mackenzie (1853-1925)
in seiner "Nasenreflextheorie" feststellt, welche besagt, "daß Wechselbeziehungen
zwischen einer sensiblen Nase und Irritationen der weiblichen und
männlichen Genitalien bestehen." (JÜTTE 2000, 187).
Jedoch ist das durch Geruch ausgelöste Lustempfinden weit weniger
heftig als es beim gemeinen Volk mit seiner Schwäche fürs Körperliche
der Fall ist. Der hier angeblich ausgeprägtere Tastsinn steht für
heftige, körperliche Begierde, während die durch den Geruch ausgelösten,
zärtlichen Gefühle die Distanz wahren und erhaben sind über animalische
Fleischeslüste.
*Erst die Parfümindustrie des 20. Jh. entdeckt den Mann als ertragreiche
Zielgruppe. |
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