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Erforschung der Fäulnis

Die ab Mitte des 18. Jh. neu gewonnenen Erkenntnisse führen zu einem regelrechten ‚Boom' an sog. pneumatischen Experimenten.

Die enorme Anziehungskraft, die von der Beobachtung von Fäulnisprozessen ausgeht, liegt in der "Faszination [...] der Todesangst, der Furcht vor dem Zerfall des lebenden Körpers" (CORBIN 1984, 27) begründet. Der Mensch hat Angst vor der Unfaßbarkeit der Elemente, aus denen er besteht, aus denen schon andere Wesen bestanden haben und aus denen neue Wesen bestehen werden.

Der Geruchssinn erweist sich als hilfreiches Werkzeug bei der "unablässige[n], lauernde[n] Beobachtung des Zerfalls der Lebewesen im allgemeinen und der eigenen Person im besonderen" (CORBIN 1984, 34).
Schon Anfang des 17. Jh. erklärt F. Bacon, daß die auf unseren Organismus einwirkenden Störungen mehr oder weniger zu dessen - fauligem - Zerfall führen, wodurch der Zusammenhalt der einzelnen Teile vollständig zerstört wird um eine neue Zusammensetzung möglich zu machen.
Laut J. J. Becher ist die Fäulnis eine ständige Bewegung in den Gedärmen, die aus der Mobilität losgelöster Moleküle resultiert, was wiederum den unangenehmen Geruch mit sich führt. (CORBIN 1984, 29).
Der Gestank deutet folglich nicht nur auf einen Fäulnisprozeß hin, sondern ist selbst Bestandteil des Prozesses. Die Gesundheit eines Organismus beruht auf dem Gleichgewicht der in ihm wirkenden Kräfte, der innere Faulungsprozeß ist hierfür ebenso unerläßlich wie der sog. "balsamische Geist" (CORBIN 1984, 29) des Blutes. Wird das Gleichgewicht jedoch gestört, z.B. durch eine Verletzung oder den Kontakt mit verwesenden Körpern, kann sich die Fäulnis ausbreiten. Ab Mitte des 18. Jh. macht sich die Wissenschaft verstärkt daran, fäulniswidrige Stoffe zu finden, die dem Zerfall der Körper entgegenwirken.
So leben z.B. die Hygieniker nach bestimmten Regeln der Reinheit, deren Grundlagen die Analyse der Luft, die Bekämpfung fauliger Miasmen* und die Anerkennung aromatischer Stoffe als Heilmittel sind. Als vorbeugendes Mittel gegen Krankheiten aber auch zur Heilung derselben werden die verschiedensten Duftstoffe eingesetzt.

Somit stammen nicht nur die Symptome, sondern auch die Mittel zu deren Bekämpfung aus dem Bereich des Riechbaren. Sie haben gemein, daß sie einen starken Geruch verströmen, wobei die Palette von duftenden Aromata aus Pflanzen (z.B. Weihrauch und Rosmarin) über Essig, Schießpulver bis hin zur Ziege in der Wohnstube reicht (CLASSEN et al. 1994, 60). Teilweise glaubt man sogar an die Heilkraft der eigenen Exkremente. So soll es z.B. gut für die Gesundheit sein, morgens auf nüchternen Magen Abortdünste zu inhalieren (CLASSEN et al. 1994, 61). Das Verhältnis zum eigenen Kot und Urin ist allerdings ein sehr gespaltenes: die einen halten die Ausdünstungen wie andere schlechte Gerüche für äußerst gefährlich, bei anderen (vor allem beim einfachen Volk) hält sich der alte Glaube an ihre Heilkraft und ihren wirtschaftlichen Nutzen (Kot als Dünger vergrößert die Ernte) noch weit bis ins 19. Jh. hinein.

*Außerhalb des Körpers gebildete Ansteckungsstoffe, vor allem giftige Ausdünstungen des Bodens, werden bis zu L. Pasteurs Entdeckungen als Miasmen bezeichnet.
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